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Wie weiter? Aus der Krise in eine neue Normalität in unseren Schulen

Das Auffassen von Bildung und Schule in der Pandemie als größter Schulversuch aller Zeiten und warum wir vor allem jetzt nicht achtlos in den alten Regelbetrieb übergehen sollten. Erfahrungen aus der Prozessbegleitung einiger Schulen bei ihrer Schulentwicklung.​

Wie kommen wir wieder in einen geregelten Schulbetrieb, der trotzdem Zukunft einlädt? Wie können wir positive und negative Erfahrungen aus den vergangenen Monaten für Schulentwicklung nutzen? Es sind viele Fragen, die Lehrende in Schule und ganz besonders Schulleitungen gerade beschäftigen. In vielen Kollegien erleben wir ein Wechselbad der Gefühle zwischen „einfach nur wieder zurück“ zu Schule vor Corona und dem Wunsch, neue Technik, Methoden und Erfahrungen in ein neues ganzheitliches Lernkonzept zu überführen und die eigene Schule wirklich zu verändern.

Corona hat den Blick geschärft für Defizite, die schon lange bestehen
Was wir in vielen Schulen im ganzen Bundesgebiet erlebt und gesehen haben, war viel Engagement, Ideenreichtum und vor allem Improvisieren und Ausprobieren, wie Unterricht und Lernen trotz digitalem Fernunterricht oder diversen Formen von hybriden Ansätzen gelingen können. Viele Lehrende und Schüler*innen haben in knapp einem Jahr mehr experimentiert als manch andere in ihrer gesamten Schullaufbahn. Auch wenn niemand auf den ersten Schullockdown Anfang 2020 mit seinen gravierenden Einschnitten in den Schulalltag vorbereitet sein konnte, wurde deutlich, dass manche Schulen und Lernformen besser geeignet waren mit der Krise umzugehen als andere. Es hat sich allerdings auch offenbart, dass die Mehrheit der Schulen und Lehrenden nicht im Ansatz auf andere, flexiblere Lernformen vorbereitet war, weil sich abseits von wenigen Modellschulen kaum jemand mit ihnen beschäftigt hatte. Viele Expert*innen und Studien haben bereits vor der Pandemie immer wieder darauf hingewiesen – Wir bleiben in der Schulbildung weit hinter dem zurück, was wir heute über Lernen und die Bedürfnisse von jungen Menschen beim Heranwachsen wissen. Im digitalen Distanzunterricht kamen Probleme mit der technischen Infrastruktur erschwerend hinzu. Die Pandemie hat schließlich diese großen Defizite für alle sichtbar gemacht und das gesellschaftliche und politische Interesse so stark wie selten zuvor auf unsere Schulen gerichtet. Die Forderungen eine neue Normalität an Schulen zu gestalten, wurden lauter.

Was müssen wir jetzt für eine neue Normalität anpacken?

Was sind nun die großen Baustellen, die wir in Schule bereits vor der Covid19-Pandemie hatten und die uns während der Zeit mit Lockdown und Hybridunterricht so viele Probleme bereitet haben? Warum sollten wir diese Herausforderungen jetzt anpacken? In den meisten Schulen fehlt es an einer klaren Zukunftsstrategie, einem ganzheitlichen Konzept für digitales Lernen, selbstorganisierten Lernformen und ganz vorneweg an einer guten Fortbildungspraxis und dem positivem Lernklima unter den Lehrenden. Als Ursache könnte man an dieser Stelle trefflich über den Bildungsföderalismus philosophieren und auch die Struktur des Schulsystems näher betrachten mit ihren schwierigen Träger- und Aufsichtssystemen, die in vielen Fällen zu wenig und gar nicht steuern oder unterstützen und in anderen Fällen wiederum guten Lösungen oder Entwicklung ausbremsen. Hier müsste dringend politisch geschärft werden, das Berichten viele Schuleiterinnen und Schulleiter immer wieder mit leidvollen Geschichten. All das muss Schulen aber nicht daran hindern, jetzt trotzdem für sich die Chance zu nutzen und sich auf den Weg in eine Schule der Zukunft zu machen. 

Fortbildungstag Positive Leadership

Mit Hilfe der Theorie U Krise und Veränderung in der eigenen Schule begleiten und erfolgreich gestalten.
Ein digitaler Fortbildungstag, speziell für Mitglieder der Schulleitung, um die Führungsrolle in Schule für eine positive Begleitung nach der Krise zu nutzen.
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Wie sollte zukunftsfähiges Lernen aussehen?

Das häufig genutzte 4K-Modell zeigt, welche vier Schlüsselkompetenzen für das Leben im 21. Jahrhundert zentral sein werden: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Neben den vielen Herausforderungen unserer Zeit ist es vor allem die zunehmende Digitalisierung, die das Leben und damit auch das Arbeiten und neue Normalität im Lernen grundlegend prägt. Die Art, wie wir Unterhaltung konsumieren, wie wir in Unternehmen zusammenarbeiten, wie wir Informationen verarbeiten und Wissen generieren verändert sich so rasant wie nie zuvor. Zeitgemäßes Lernen sollte Kinder und Jugendliche deshalb fit machen, sich flexibel an sich ändernde Umstände anzupassen und diese aktiv mitzugestalten. Lehrkräfte und Schulleitungsteams berichten denn auch von großartigen Erfahrungen, wenn sie bereits vor der Pandemie begonnen hatten mit freien Lernformaten, wie Lerntagebüchern, Lernwerkstätten oder selbstbestimmten Lernkonzepten zu experimentieren. Diese konnten unkompliziert auch digital umgesetzt werden, das führte zu deutlich weniger großen Verlusten in den erarbeiteten Inhalten und Veränderungen im Lernrythmus. Wir wissen auch aus vielen Schulversuchen und der Lernforschung, dass diese Form von Lernen viel mehr dem intuitivem menschlichen Lernbedürfnis entspricht und deutlich wirksamer ist bei der Aneignung von wichtigen Schlüsselkompetenzen. Auch die aktuelle Jugenderhebung von beWirken aus dem Sommer 2021 zeigt, dass Lernende sich flexibleres, selbstbestimmteres und digitaleres Lernen wünschen. Wichtig ist dabei, dass Schulen nicht einfach mit mehr Tablets und Computer ausgestattet werden, sondern digitale Tools und Hilfsmittel methodisch-didaktisch sinnvoll eingesetzt werden, um Lernsettings grundsätzlich umzugestalten.  

Wie könnte es besser laufen?

Aus dem Krisenmodus in einen strukturierten Veränderungsprozess
In vielen Medienberichten und Interviews freuen sich Lehrende wie Lernende daher über eine Rückkehr aus dem Krisenmodus in einen geregelten Schulbetrieb. Das ist richtig und logisch, da wir viel zu lange ohne klare Perspektive in einem Provisorium aus ständigen Ausnahmesituationen unterwegs waren. Doch was passiert, wenn Schulen jetzt nicht aktiv handeln und die Erlebnisse der Pandemie kollektiv verarbeiten? Diese Frage bekommen wir auch von Schulleitungen in Bezug auf ihre Schule oft gestellt. Die Schulleitungen haben häufig Lust sich auf den Weg zu machen ihre Schule zu verändern, aber auch Angst gleich wieder ein neues Fass aufzumachen und das Kollegium womöglich zu überfordern oder gar zu verärgern. Deshalb darf Schulentwicklung nicht ein neuer Krisenmodus werden, aus dem ungeplant und ohne Begleitung Veränderungen hervorgehen, die ein Großteil der Schulgemeinschaft so schnell nicht mitgehen kann. Hier braucht es eine klare gemeinsame Vision, Strategie und einen professionell begleiteten Veränderungsprozess.

Theorie der Veränderung - Theorie U

Theorie U von Otto Scharmer als Modell für partizipative Veränderungsprozesse

Warum ist trotzdem jetzt der richtige Zeitpunkt für Veränderung? Generell gibt es sowas wie den perfekten Zeitpunkt für Schulentwicklung nicht, es wird immer andere Themen parallel geben und eine hohe Arbeitsbelastung, das war auch vor der Pandemie eines der größten Hemmnisse. Zeitnah nach der Rückkehr in den Normalbetrieb die großen Fragen zu stellen ist deshalb sinnvoll, weil alle im System (auch Schüler*innen und Eltern) erfahren haben, dass Lernen auch anders aussehen kann – mit allen Vor- und Nachteilen. Dieses kollektive Erlebnis mit komplett neuen Rollenverteilungen und dem damit verbundenen Perspektivwechsel muss sonst sehr aufwendig in Schulentwicklungs-prozessen mit Experimenten, Lernreisen und anderen Maßnahmen erzeugt werden. Schulfamilien verfügen also aktuell über einen wahren Erfahrungsschatz, der helfen kann, sehr schnell und sehr konkret ein neues Zukunftsbild und erste Schritte dahin zu entwickeln. Das Theorie-U-Modell (u.a. von Otto Scharmer vom MIT), das häufig als Modell für partizipative Veränderungsprozesse dient, nennt diese Phase passend „Co-Sensing“, also das gemeinsame Erleben von anderen Perspektiven und Verstehen der Herausforderungen. Mit dem Loslassen von alten Mustern und Annahmen im Schulalltag ist schon ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg der Veränderung gegangen – diesen Prozess hat das Lernen unter Pandemiebedingungen oft ohnehin angestoßen. Das weitere Warten auf den richtigen Zeitpunkt hingegen ist nicht nur ungewiss, sondern führt auch dazu, dass die Erinnerung an ein anderes Lernen verblassen. Hinzu kommt, dass die Strukturen der Schulorganisation, die Taktung und inhaltlichen Anforderungen sowie altbekannte Rollenbilder von Lehrenden und Lernenden bei allen Beteiligten in ihrer Ursprungsform wieder gefestigt werden. Das Kollegium und auch Schülerinnen und Schüler brauchen dann umso mehr Zeit und Raum, sich in neue Formen reinzudenken und diese wieder neu zu erleben, um Bestehendes loszulassen. “Sich erst einmal wieder beruhigen” hilft gerade nicht um zu einer neuen Normalität zu gelangen.

Du willst weiter erkunden, wie Schulentwicklung in deinem Umfeld funktioniert oder weitergehen kann? Trage dich hier für unsere zwölf Wochen-E-Mail Reise ein. Dort teilen wir mehr unserer Ansätze, Erfahrungen und Gedanken rund um Veränderung in Schulen und geben dir konkrete Ideen, wie diese starten oder gestaltet werden können. Mehr Informationen zur Reihe

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Gute Schulentwicklung ist ganzheitlich und partizipativ

Eine guter Schulentwicklungsprozess kann also am besten möglichst zeitnah starten, um wie beschrieben die erste wichtige Phase des Erkennens und Loslassen von Mustern und Bewertungen im Schulalltag zu nutzen. Wenn wir mit Schulleitungsteams arbeiten, ist der erste Schritt deshalb immer, ein gemeinsames Verständnis für die Erfahrungen aus den letzten Monaten zu schaffen und zu klären, wo die Schule strategisch steht und welche Ziele und Visionen es gibt. Dafür ist es häufig nötig, zuerst in kleiner Runde und dann mit Vertreterinnen und Vertretern der Schulfamilie, eine solche Vision zu entwickeln und sie mit konkreten Ideen mit Leben zu füllen. Die Schulleitungscoachings und auch der beschriebene Anstoßworkshop, den wir bei beWirken dann vor Ort in den Schulen sehr partizipativ und kreativ durchführen, führt meistens schon dazu, dass die Schule als Gemeinschaft Lust auf Veränderung bekommt. Der Schulentwicklungsprozess kann weder allein im Kollegium noch bei der Schulleitung liegen, sondern braucht Haltepunkte außerhalb des Schulalltags und gute Gremien, die am besten paritätisch aus allen Teilen der Schulfamilie besetzt werden. Dabei ist immens wichtig, nicht in den Prozess hineinzustolpern und die Rollenklärungen und den Rhythmus für die Schritte der Schulentwicklung für alle transparent und klar zu gestalten.

Wir haben als gemeinnützige Organisation bei beWirken in den letzten Jahren verschiedene bewährte Formate entwickelt, die gerade auf den ersten Metern helfen können, Kollegium und Schulfamilie bei Veränderungsprozessen gut mitzunehmen – dazu gehören z.B. Minischulungen für Lehrkräfte, schüler*innenzentrierte Workshops, Fallberatungsgruppen und eine Mailingreihe. Auch viele andere großartige Organisationen und die staatlichen Berater*innensysteme helfen ins Laufen zu kommen und begleiten Schulentwicklung. Ich möchte den Kollegen und Kolleginnen in den Schulleitungsteams Mut machen, sich auf den Weg zu machen, sich Unterstützung zu holen und die Chance der Krise für die Gestaltung einer neuen Normalität zu nutzen!

Anstoßworkshop

Gemeinsam als Schulfamilie Ideen für die eigene Schule entwickeln! Der Anstoßworkshop ist ein intensives und kreatives 2-tägiges Format für Schulen, um gemeinsam mit Vertreter*innen aller Mitglieder der Schulfamilie Ideen für die eigene Schule zu entwickeln. 
Mehr erfahren.

Über den Autor:

Björn Adam begleitet als Unternehmer, Speaker und Coach Menschen und Organisationen bei agilen Transformations- und Innovationsprozessen. Er hat mit beWirken vor fünf Jahren eine soziale Organisation gegründet, die sich vollständig der Begleitung und dem Anstoß von Veränderung in Schule verschrieben hat.

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UnLearn School - Auf dem Weg zum Lernen der Zukunft

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